Die letzte Ente

„Joah, noch so’n Spruch und ihr könnt gleich draußen stehen bleiben.“ Morgens um sehr, sehr früh. Wir stehen am Bühneneingang der Westfalenhalle. Ein unfassbares Gewusel im Backstagebereich: Dutzende, nein Hunderte Leute schieben riesige Flightcases aus den LKWs, ständig knistert irgendwo ein Funkgerät, ständig rufbrüllt irgendjemand wegen irgendetwas. Wir sind nicht sicher, in welchen Sprachen. Und da vorne steht eine rie-si-ge Bühne. Christian, Agentur torius, hat die erstbeste Stagehand erfolgreich auf dem komplett falschen Fuß erwischt. Hoppla. Erst später erfahren wir, dass der Tag heute schon kompliziert genug ist für Roadies und Crew: Hier entsteht binnen Stunden nicht nur eine komplette Bühne mit Tonnen an Licht; abends wird auch noch ein Tourneevideo gedreht.

Mittendrin: Daniel, Sandra und Christian. Unsere Aufgabe: Toningenieure bei der Arbeit begleiten, Momente einfangen, Reportagemotive finden. Und nicht im Weg stehen, unsichtbar bleiben. Endlich erscheint die Produktionsassistentin. Auch im größten Chaos bleibt sie die Ruhe selbst und findet für uns eine sichere Basisstation: „Dann bringe ich euch jetzt in den Schlachtraum“, lacht sie und führt uns in den Keller.

Der einzige Raum, der an diesem Tag noch übrig ist, ist eine voll gekachelte Neonlichtkammer. Sandras Reich für diesen Tag hat bei der Crew den Spitznamen „Schlachtraum“. Verstanden, hier könnte man wirklich leicht saubermachen nach… egal. Laptop auspacken, Objektive, Bodys, Daniel und Christian sprechen sich ab. Zwischen den beiden passiert eine Menge von dem, was ein guter Fototermin braucht: Wie sieht der Tagesablauf aus, wann arbeiten welche Tonprofis wo? Was für Rahmenbedingungen gelten? Was dürfen wir auf keinen Fall fotografieren? Persönlichkeitsrechte und Aufklärung nach DSGVO – wer kümmert sich? Wann? Daniel hat anschließend Kopf und Auge frei für Motive, Christian kümmert sich um Bürokratie, um die große Richtung – und um falsche Mikrofone, die guten Motiven im Weg sind.

Dass irgendwann auch die Künstlerin des Abends durch die Gänge läuft (bekannt auch durch Lieder über Luftballons), kriegen wir gar nicht richtig mit. Daniel ist längst im Fokusmodus. Die Toningenieure arbeiten am FOH (Mischpult Hallensound vor der Bühne) und auf der Nebenbühne am IEM (In-Ear-Monitoring, die kleinen Stöpsel im Ohr der Bühnenmusiker). Was da an kleinen Handgriffen passiert, an typischen Situationen, an Pausen und Anspannung: Daniel ist mittendrin und längst unsichtbar. Gehört dazu. Speicherkarten fliegen nur so Richtung Schlachtraum, Sandra kopiert, selektiert, hält die Stimmung im Schlachtraum oben und die Daten zusammen.

6 Stunden später verabschieden wir uns, zurück in den Zug, draußen scheint übrigens Sommer zu sein bei 35 Grad. Aha. Daniel zwinkert, wir sind alle etwas angezehrt von Laufwegen und Abstimmungen und Neonlicht und Konzentration – und zugleich seltsam zufrieden. Es hat wieder funktioniert. Wir haben Motive mitgebracht, die einzigartig sind, eine ganz typische Atmosphäre einfangen; eine Bildsprache, die so sonst niemand hat. Ha!

Und verabschieden uns lachend mit der „letzten Ente“. Unser Kunde lädt uns auf der Rückfahrt zum Essen ein, wir plappern, scherzen, reden Unsinn. Und Christian findet sein lang vermisstes Stück Ente kurz vom Einstieg auf dem Boden wieder. Nicht ohne dass Daniel ihn damit stun-den-lang aufzieht. So geht das ständig zwischen den beiden. Und ist meistens ein Zeichen dafür, dass wir einen Job ziemlich gut hinbekommen haben.

Assistenz Sandra Fricke, Text Christian Kolletzki (torius)